Das Leben von Mikroorganismen ist, wie das anderer Organismen, an die Verfügbarkeit von Feuchtigkeit gebunden. Entsprechend ist der Mikroorganismengehalt an dauerhaft trockenen Materialien …
1. Zusammenfassung
Das Leben von Mikroorganismen ist, wie das anderer Organismen, an die Verfügbarkeit von Feuchtigkeit gebunden. Entsprechend ist der Mikroorganismengehalt an dauerhaft trockenen Materialien gering. An derartigen Materialien können Mikroorganismen vorliegen, die ggf. bereits bei der Produktion eingearbeitet wurden oder solche, die auf das Material sedimentiert oder andersartig übertragen wurden (z. B. durch Verschmutzungen).
Durch eine Durchfeuchtung von Materialien verändern sich die „Überlebens“- bzw. Wachstumsbedingungen für Mikroorganismen schlagartig. Durchfeuchtete Materialien werden in der Regel auch dann besiedelt, wenn ihr pH-Wert in einem unphysiologischen Bereich liegt oder das Material mit Bioziden „schwer“ besiedelbar gemacht wurde.
Der Grund für die enorme Fähigkeit von Mikroorganismen, auch unter offensichtlich ungünstigen Bedingungen lange Zeit zu überleben oder sogar eine ggf. langsame, aber zunehmend bessere Entwicklung zu erreichen, liegt vor allem an einem differenzierten Zusammenspiel zwischen verschiedenen Mikroorganismen.
2. Phasen der mikrobiellen Entwicklung
Die Besiedlung von Materialien erfolgt häufig in mehreren Phasen (siehe Abb. 1).
A) Zum Zeitpunkt der Materialbefeuchtung liegen auf der Materialoberfläche unterschiedliche Sedimentationskeime in zufälliger Anordnung und Zusammensetzung vor. Die Keime stammen überwiegend aus der Außenluft und sind daher nicht unbedingt auf eine Besiedlung des vorliegenden Materials spezialisiert. Diese “Primärbesiedler“ können sich in dieser frühen Phase konkurrenzlos auf dem Material entwickeln und erreichen oft bei guten Feuchte- und Nährstoffbedingungen (z. B. feuchte Tapeten) in beheizten Wohnräumen innerhalb von 4 bis 8 Wochen hohe Keimzahlen.
B) Abhängig von den Wachstumsbedingungen können sich bereits nach wenigen Wochen zunehmend auch Mikroorganismen entwickeln, die unter den gegebenen Bedingungen besonders gut oder zumindest besser als die unter A) beschriebenen Primärbesiedler auf die Nutzung der verfügbaren Nährstoffe angepasst sind. Diese „Sekundärbesiedler“ setzen sich in der Folgezeit im Schaden immer stärker durch und erreichen schließlich eine ähnlich hohe Konzentration wie zuvor die Primärbesiedler. Bei annähernd gleichbleibenden Lebensbedingungen kann eine hohe Keimzahl über einen längeren Zeitraum beibehalten werden. Das bedeutet, dass über die Zeit gesehen genauso viele Zellen absterben wie neu gebildet werden. Mit zunehmendem Schadensalter verändern sich allerdings häufig bestimmte Parameter im Schaden. So kann sich die Feuchtigkeit verändern oder die Verfügbarkeit von leicht verwertbaren Nährstoffen stark abnehmen. Außerdem wird durch die mikrobielle Aktivität das Milieu (pH-Wert) im Material zunehmend verändert.
C) Durch die Veränderung der Lebensbedingungen im Schadensbereich kommt es früher oder später zu einer weiteren Veränderung in der Spezieszusammensetzung. Die Konzentration der Sekundärbesiedler nimmt zugunsten der Konzentration der Folgebesiedler ab.

Abb. 1: Entwicklungsphasen eines Feuchtigkeitsschadens.
E = Erstbesiedler, S = Sekundärbesiedler, F = Folgebesiedler, GZ = Gesamtzellzahl: Die Aspergillus-Kolonie (klein, Bildmitte unten) führt zu einer partiellen Wachstumshemmung der Penicillium-Kolonie (groß in Bildmitte)
Die Anzahl der kultivierbaren Mikroorganismen kann während der drei Besiedlungsphasen auf einem ähnlichen Niveau liegen. Die Zeitspanne, innerhalb der sich ein Maximum an lebensfähigen Zellen bildet, ist von den Lebensbedingungen abhängig. Bei guten Nährstoffbedingungen, ausreichender Feuchtigkeit und keinen anderen störenden Effekten kann dieses Maximum bereits nach 4 Wochen erreicht werden. Die Gesamtzellzahl (lebende und tote Zellen) sowie die Anzahl von biochemischen Komponenten (diverse Sekundärmetaboliten bzw. sekundäre Stoffwechselprodukte) nehmen jedoch langsam zu. Die maximale Zellzahl (lebensfähige und tote Zellen) in einem Schaden wird dann erreicht, wenn die Zellbildungsrate langsam zurückgeht (z. B. durch die Zunahme hemmen von Toxinen und anderen Metaboliten) und gleichzeitig die Anzahl der zerfallenden Zellen (z. B. aufgrund natürlicher Alterung) zunimmt. Der Zeitpunkt mit der maximalen Zellzahl kann allerdings nicht sicher vorhergesagt werden, da er durch die speziellen Lebensbedingungen in einem Schaden bestimmt wird. In vielen Schäden wird diese maximale Zellzahl erst nach 6 Monaten oder noch deutlich längeren Wachstumszeiten erreicht.
3. Bildung von Sekundärmetaboliten bei Schimmelschäden
In Feuchtigkeitsschäden verändert sich aber nicht nur die Anzahl und Zusammensetzung der Mikroorganismen, sondern mit der Veränderung der Mikroorganismen treten auch immer mehr Sekundärmetabolite auf. Die Konzentration dieser Verbindungen ist ebenfalls dynamisch. Bei einzelnen Komponenten kann es nach einem Anstieg wieder zu einer raschen Abnahme kommen, weil ihre Bildung verringert wird oder weil sie von anderen Mikroorganismen verstoffwechselt werden, während andere Komponenten im Schaden verbleiben und sich anreichern.
Die vielfachen Wechselwirkungen, die innerhalb der Mikroflora in einem Feuchtigkeitsschaden bestehen, sind bisher nur in Ansätzen verstanden. Bereits durch die Erstbesiedlung des Materials werden insbesondere von Bakterien, aber auch von Schimmelpilzen, Schleime abgegeben, durch die, neben anderem, ein besserer Kontakt zum Material ermöglicht wird. Zusätzlich werden dadurch die Materialeigenschaften verändert, wie z. B. die Wasserhaltefähigkeit und der pH-Wert. Abhängig vom Nährstoffangebot und von der Konkurrenzsituation können unterschiedliche Sekundärmetaboliten freigesetzt werden, zu denen neben Enzymen auch Endotoxine, Mykotoxine oder Antibiotika gehören können.
Einzelne Mikroorganismen sind in der Lage, mit ihnen konkurrierende Mikroorganismen durch die Abgabe von Metaboliten in ihrem Wuchs zu unterdrücken oder gar abzutöten. Andererseits gibt es auch Mikroorganismen, die von den Stoffwechselprodukten der sie umgebenden Mikroflora profitieren. In jedem Fall wird durch eine aktive Mikroflora eine Vielzahl von Stoffwechselprodukten an das Material abgegeben und weiter umgesetzt.
Wechselnde Feuchtigkeitsbedingungen im Substrat können die Konkurrenzfähigkeit einzelner Mikroorganismen wesentlich verändern. Unter sehr feuchten Bedingungen können verschiedene Bakterien, darunter häufig gramnegative Bakterien, in Feuchtigkeitsschäden auftreten und ggf. andere Mikroorganismen, wie z.B. Schimmelpilze, zersetzen oder deren Entwicklung unterdrücken. Nach einer partiellen Abtrocknung des Schadens können sich die gleichen Bakterien nicht mehr behaupten und werden nun von besser angepassten Mikroorganismen, wie beispielsweise Schimmelpilzen, als Nährstoffgrundlage genutzt. Speziell bei der Zersetzung von gramnegativen Bakterien wird u.U. Endotoxin, ein für den Menschen wirksames Toxin, freigesetzt.: Die Aspergillus-Kolonie (klein, Bildmitte unten) führt zu einer partiellen Wachstumshemmung der Penicillium-Kolonie (groß in Bildmitte)
In Laborversuchen konnte gezeigt werden, dass gramnegative Bakterien u.a. durch Streptomyceten sowie durch verschiedene Schimmelpilze abgebaut werden können. Hierbei wurden die Bakterienzellen zersetzt und es entstanden helle Abbauzonen (siehe Abb. 2).

Abb. 2: Petrischale mit einer dichten Zelllage von E. coli. Die Platte wurde punktuell mit Streptomyceten beimpft. Um die Streptomycetenkultur sind kleine Aufhellungen durch lysierte (aufgelöste) Bakterienzellen zu sehen.
Bei dieser Zersetzung werden die als Endotoxin bezeichneten Zellwandbestandteile freigelegt und wahrscheinlich in weitere toxikologisch wirksame Untereinheiten aufgespalten. Zumindest konnte im Laborversuch gezeigt werden, dass der Endotoxingehalt nach der Zersetzung gegenüber der Kontrolle um ein Vielfaches zunimmt. Interessant ist hierbei, dass die Zellverwertung offensichtlich selektiv erfolgt, da die Zellmasse der gramnegativen Bakterien reduziert wird, indem die durch die Zersetzung frei werdenden Nährstoffe resorbiert werden, aber die Endotoxine nicht oder nur in geringem Umfang abgebaut werden und daher im Schaden verbleiben.
Der Laborversuch gibt einen ersten Hinweis darauf, dass man bei der Entstehung von biogenen Schadstoffen in Feuchtigkeitsschäden die Beteiligung verschiedener Mikroorganismen und deren Wechselwirkung untereinander in Betracht ziehen muss. Im konkreten Fall, bei dem es um die Endotoxinbildung im Schaden geht, muss zum einen – zumindest zeitweise – eine hohe Feuchtigkeit im Material vorherrschen, um die Entwicklung von gramnegativen Bakterien zu ermöglichen. Zum anderen muss nachfolgend ein Wechsel der Lebensbedingungen stattfinden, sodass in einer zweiten Phase andere Mikroorganismen dominant werden können, welche die gramnegativen Bakterien verstoffwechseln.
4. Bei Schimmelschäden sind Wechselwirkungen zu berücksichtigen
Durch die Abgabe von Sekundärmetaboliten der Mikroorganismen kann allgemein eine intensive Auseinandersetzung und Beeinflussung benachbarter Mikroorganismen in einem Feuchtigkeitsschaden angenommen werden. Hinweise hierzu finden sich bereits in Routineproben, bei denen unterschiedliche Kulturen auf einem Nährmedium wachsen. Bei diesen Proben kann regelmäßig beobachtet werden, dass einzelne Kolonien von Nachbarkolonien in unterschiedlichem Ausmaß in ihrem Wuchs gehemmt werden. In der Abb. 3 wird eine Kultur von Penicillium digitatum durch eine Kultur von Aspergillus versicolor (Aspergillus versicolor-Komplex) in ihrem radialen Wachstum behindert. Offensichtlich gibt die Aspergillus-Kultur ein Stoffwechselprodukt in den Nähragar ab, der zu der beobachteten Hemmung führt. In Feuchtigkeitsschäden ist es darüber hinaus denkbar, dass einzelne Mikroorganismen Vorstufen von Schadstoffen bilden, die erst durch den Enzymcocktail der Begleitflora zu einer für den Menschen toxischen Substanz umgebaut werden.

Abb. 3: Die Aspergillus-Kolonie (klein, Bildmitte unten) führt zu einer partiellen Wachstumshemmung der Penicillium-Kolonie (groß in Bildmitte)
5. Auf-, Umbau- und Abbauprozesse
Der Gehalt von Pilzmyzelien und Bakterien in einem Feuchtigkeitsschaden ist nicht statisch, sondern unterliegt Auf-, Umbau- und Abbauprozessen. In aktiven Feuchtigkeitsschäden können in relativ kurzer Zeit große Änderungen in der Zusammensetzung der Mikroflora erfolgen, indem die Zellen bzw. Myzelien einzelner nicht mehr konkurrenzfähiger Arten aufgelöst und dafür Mikroorganismen anderer Arten gebildet werden. Derartige Veränderungen laufen allerdings nicht ohne eine Freisetzung von Stoffwechsel- und Abbauprodukten ab, die sich im Feuchtigkeitsschaden anhäufen können.
Dieser Ab- und Umbau von Stoffen wird durch Enzyme bewerkstelligt, die von den jeweils aktiven Mikroorganismen abgegeben werden. Die Aktivität der Enzyme führt dazu, dass auch massive Zellwände brüchig und in kleinere Einheiten zersetzt werden. Zarte Pilzmyzelien oder Bakterienzellen können dabei vollständig zerfallen, sodass sie lichtmikroskopisch nicht mehr erkennbar sind.
In der Abb. 4 ist das „Schicksal“ von Myzelien in verschiedenen Feuchtigkeitsschäden dargestellt. In einem frischen, mäßig feuchten Schaden kann sich ein Cladosporiummyzel entwickeln. Im Beispiel (Abb. 4a) ist das junge Myzel noch farblos und enthält viel gut färbbares Zytoplasma. Bleiben die Lebensbedingungen über mehrere Monate gleich, wandelt sich das Myzel um. Es verfärbt sich braun, die Zellwände verdicken sich und der Plasmagehalt wird reduziert (Abb. 4b). Im dritten Fall wird ein junges, zartes Myzel überflutet. Es kann bei diesen Bedingungen nicht mehr weiterwachsen und wird von zahlreichen Bakterien (blau gefärbte Punkte am zerfallenden Myzel) abgebaut (Abb. 4c). In manchen Schadensfällen kann aufgrund von charakteristischen Strukturen an den Materialien, wie z. B. Chlamydosporen, auf eine zurückliegende und bereits abgebaute Besiedlung geschlossen werden.
Die beschriebenen Vorgänge verdeutlichen, dass mit unterschiedlichen toxischen Stoffwechselprodukten in einem Feuchtigkeitsschaden gerechnet werden muss. Viele dieser Stoffwechselprodukte müssen als ein Gemeinschaftsprodukt angesehen werden, eine parallele oder auch nacheinander erfolgende Aktivität mehrerer Mikroorganismen unter bestimmten Lebensbedingungen voraussetzt. Eine begrenzte Analyse von typischen Mykotoxinen, wie z.B. solche, die bereits von einzelnen Schimmelpilzen unter Laborbedingungen gebildet werden, ist daher nicht ausreichend, um die Schadstoffsituation in einem Feuchtigkeitsschäden zufriedenstellend abzubilden. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass die verschiedenen biogenen Schadstoffe eine synergetische Wirkung haben können.
6. Schlussfolgerungen für Praxis und Forschung
Die dargestellten Veränderungen in der Zusammensetzung der Mikrofauna sowie die Wechselwirkung verschiedener Mikroorganismen untereinander sollten zukünftig bei der Bewertung von Feuchtigkeitsschäden sowie bei der Planung von Forschungsprojekten berücksichtigt werden.
Bei der Beurteilung von Feuchtigkeitsschäden wird von einigen Sachverständigen gefordert, dass relevante Myzelmengen an den entsprechenden Materialproben festgestellt werden um einen Feuchtigkeitsschaden bestätigen zu können. In der Praxis können umfangreiche Myzelien allerdings nur an sehr nährstoffreichen Materialien wie z.B. Papier oder Holz festgestellt werden. Diese Myzelien werden insbesondere dann festgestellt wenn sich bestimmte Pilze mit dunklem und derbem Myzel wie beispielsweise Chaetomiumarten entwickelt haben.
An anderen Materialien, wie z.B. Polystyrol und insbesondere Mineralfasern, entwickeln sich dagegen häufig Pilze mit sehr feinen Myzelien, wie z.B. von Penicilliumarten. Im Schadensverlauf werden häufig diese Myzelien zu einem erheblichen Anteil abgebaut, sodass nur noch geringe Reste am Material verbleiben. In Schadensfällen, bei denen es nach der Pilzentwicklung zu einer sehr intensiven Durchfeuchtung oder Überflutung kommt, können diese Pilzmyzelien auch vollständig von Bakterien zersetzt werden.
Insbesondere bei der gesundheitlichen Bewertung von Feuchtigkeitsschäden besteht bisher eine weitgehende Unsicherheit. Einerseits wurde durch epidemiologische Untersuchungen beobachtet, dass Feuchtigkeitsschäden zu eine Erhöhung von gesundheitlichen Beschwerden der Raumnutzer führen können und andererseits konnte die verbreitete Vorstellung, dass diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch erhöhte Sporenkonzentrationen in der Raumluft vermittelt werden, durch umfangreiche Studien nicht bestätigt werden.
Da zumindest bei älteren Schäden davon ausgegangen werden kann, dass neben Sporen auch sehr kleine schadstoffhaltige Partikel (Allergene, Mykotoxine, Endotoxin sowie weitere Stoffwechselprodukte) im großen Umfang entstehen und darüber hinaus diese Partikel aufgrund ihrer geringen Größe viel leichter aus einem Schaden ausgetragen werden als Pilzsporen oder selbst Bakterien, erscheint ein ursächlicher Zusammenhang dieser Partikel mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zumindest wahrscheinlich. Eine verstärkte Prüfung dieser Hypothese durch öffentlich geförderte Forschungsprojekte wäre wünschenswert.